KW 26Die Woche, ab der man jeden Like überdenken sollte

Die 26. Kalenderwoche geht zu Ende. Wir haben 15 neue Texte mit insgesamt 180.521 Zeichen veröffentlicht. Willkommen zum netzpolitischen Wochenrückblick.

Fraktal, generiert mit MandelBrowser von Tomasz Śmigielski

Liebe Menschen,

was diese Woche passiert ist, macht mich sauer, und das werdet ihr diesem Rückblick bestimmt anmerken. Das Bundeskabinett hat am Mittwoch einem Entwurf aus dem Innenministerium zugestimmt, der das Aufenthaltsrecht verschärft, mal wieder. Wer öffentlich eine Terrortat billigt und keinen deutschen Pass hat, soll nach dem Willen der Bundesregierung künftig leichter ausgewiesen werden können. Dafür soll auch schon ein einzelner fehlgeleiteter Kommentar oder Like ausreichen. Eine Verurteilung ist dazu nicht notwendig.

Diese Ankündigung ist hart. Ein Like ist schnell gesetzt, vielleicht hat man ein Video nicht zu Ende geschaut, einen Beitrag nicht ganz gelesen, vielleicht auch einmal zu wenig nachgedacht. Sollte eine Ausländerbehörde gezielt jemanden ausweisen wollen, dann könnte sie sich jetzt auf die Suche machen und würde sehr wahrscheinlich etwas finden. Dass eine so geringfügige Tat wie ein einzelner Like eine so drastische Konsequenz für Menschen haben soll, wirkt brutal – und genau das ist wohl auch das Ziel.

Symbolisches Law-and-Order

„Wir gehen hart gegen islamistische und antisemitische Hasskriminalität im Netz vor“, erklärte Innenministerin Nancy Faeser. Auch den tödlichen Messerangriff auf einen Mannheimer Polizisten erwähnte sie.

Wie mit dieser Verschärfung allerdings die gesellschaftlichen Probleme gelöst werden sollen, die die Regierung vorgeblich angehen will: keine Ahnung. Das Feiern der Massaker der Hamas, antisemitische oder islamistische Hetze oder Taten wie der Messerangriff von Mannheim – all das lässt sich wohl kaum dadurch eindämmen, dass ein weiterer Ausweisungsgrund in das Aufenthaltsrecht geschrieben wird.

Ein Anwalt, mit dem ich diese Woche sprach, wies mich darauf hin, dass das allerdings auch bisher nicht die Maßgabe war. „Symbolisches Law-and-Order“ nannte er die Änderung. Ein Blick auf die Geschichte des Paragrafen und seine vielen Änderungen bestätigt das: Nach dem tödlichen Messerangriff eines psychisch kranken Asylsuchenden kam dazu, dass auch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ein besonders schweres Ausweisungsinteresse begründen kann. Nach der Silvesternacht in Köln wurden auch Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung explizit erwähnt.

Auch aus anderen Ausweisungsgründen spricht – mehr oder weniger offen – rassistisch geprägte Symbolpolitik: Zwangsehen werden genannt. Oder das Abhalten einer anderen Person an der Teilnahme am „wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland“ unter Androhung von Gewalt.

Hauptsache, die Botschaft sitzt

Menschen mit Hintergrundwissen weisen jetzt wieder darauf hin, dass eine Ausweisung noch lange keine Abschiebung zur Folge hat. Menschen können dadurch zunächst einmal ihren Aufenthaltsstatus verlieren, was schon schlimm genug ist. In viele Staaten und Regionen, darunter Syrien oder Afghanistan, wird aber ohnehin nicht abgeschoben. Betroffene können außerdem vor Gericht Widerspruch einlegen gegen die Ausweisung, dann müssen die Gründe abgewogen werden.

Diese Fakten kann man jetzt wiederholen, auch wir tun das. Für den intendierten Effekt dieses Entwurfs ist das aber egal. Es geht nicht um die Details oder die konkreten Auswirkungen. Nicht darum, ob tatsächlich auch nur eine der genannten Taten verhindert wird dadurch. Die Botschaft muss stimmen – und die hat das Law-and-Order-Bundeskabinett von Olaf Scholz (SPD) diese Woche ganz bewusst platziert.

Euch alles Gute

Chris


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